Åle- und Kristiansund

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von Philipp (2014)

Dieser Artikel ist Teil der Geschichte Reise zum Nordkap.

Freitag, 6. Juni: Die Vogelinsel

Unser heutiges Ziel ist die Insel Runde, ein Vogelschutzgebiet. Hier brüten Papageientaucher, oder Puffins, wie wir sie schon vor Jahren auf Island gesehen haben. Diese kleinen, schwarz-weißen Vögel mit orangen Füßen und Schnäbeln brüten in der Steilküste, und wirken ausgesprochen ungeschickt, und dadurch sehr herzig.
Der Weg dorthin führt an Ålesund vorbei, und dann über mehrere Brücken, von Inselchen zu Inselchen, ans Ziel. Und diese Brücken, die haben es in sich.

Einwurf: ich hab da so einen, regelmäßig wiederkehrenden, Albtraum. Ich bin auf einer Fahrbahn, die genau so breit ist wie ein Auto, und keine Leitplanken hat, unterwegs. Die Fahrbahn windet sich irrwitzig auf und ab und hin und her, wie die Trasse einer Achterbahn. In der Steiermark, bei Gleinstätten, gibt es eine langgezogene Bergaufkurve, an deren Aussenseite man als Fahrer die Böschung nicht sehen kann, als ob die Fahrbahn in der Luft schwebt. In dieser Kurve wird mir immer etwas unwohl…

So, zurück zum Inselhüpfen. Die Norweger wollten, dass die Brücken nach Runde auch den Segelschiffen nicht im Weg sind. Deswegen sind sie sehr hoch und steil. Außerdem sollten sie billig sein. Deswegen sind sie nur einspurig, obwohl einen halben Kilometer lang, mit einer Ausweiche an der höchsten Stelle. Und die Norweger wollten auch Fundamente für die Brücken sparen, und so verwendeten sie vorhandene Felsen und Inselchen, die leider nicht in gerader Linie liegen. Deshalb machen die Brücken wilde Kurven.

Wenn die Norweger auch noch an Leitplanken gespart hätten, wäre mein Albtraum perfekt. Und so sitze ich steif im Ducato, die Beifahrer zu absoluter Stille verdonnert, summe irgendeine einfache Melodie vor mich hin, und starre auf einen Punkt auf der Straße, 20m vor dem Auto. Mit 30km/h passieren wir so die Brücken. Jetzt weiß ich, wie sich ein Holländer am Glockner fühlt…

Auf Runde gibt es nur einen Campingplatz, in dessen Nähe der Pfad quer über die Insel beginnt. Der Besitzer ist sehr engagiert beim Einweisen und legt eifrig Holzkeile zum Nivelieren unter die Räder. Der Platz ist auch recht gut besucht, und man merkt, dass hier viele Vogelliebhaber unterwegs sind; Kameras mit Objektiven mit 20cm Durchmesser und so lang wie mein Unterarm sind dort Gang und Gäbe, natürlich mit Tarnfleck-Dekor.

Wir spazieren erst nach dem Abendessen los, da die Puffins laut Campingplatzhäuptling erst nach 20 Uhr gut zu beobachten sind (die arbeiten unter Tags, kommen dann heim, duschen, essen, und possieren dann). Der Zwerg, der noch putzmunter ist, wird in die Trage gepackt, dann schnaufen wir die ersten 100 Höhenmeter über einen extrem steilen, asphaltierten Weg nach oben, den Rest dann über einen Pfad. Die gegenüberliegende Inselseite hat eine Steilküste, wo die Puffins brüten. Am oberen Rand der Klippe haben es sich bereits mehrere Beobachte gemütlich gemacht, einige wenige haben sich auch weit nach unten in die Steilküste hineingewagt. Weiter unten schwirren die Puffins herum, und hie und da landet einer vor seiner kleinen Erdhöhle. Ehrlicherweise muss man eher sagen, dass sie weniger landen, sondern im Flug lagsamer werden, und sich dann kontrolliert vor den Höhleneingang purzeln lassen. Dort sitzen sie dann kurz, checken, ob noch alles dran ist, und verschwinden dann im Loch. Nach kurzer Zeit kommen sie wieder heraus, und warten dann mehr oder weniger lang auf den besten Zeitpunkt für den Abflug, beziehungsweise das Sich-vom-Felsen-nach-unten-fallenlassen.

Alex kraxelt ganz aufgeregt mit ihrer Kamera herum, während ich an einer windgeschützten Stelle mit dem Zwerg sitze, der inzwischen doch in der Trage eingemützelt ist. Dabei beschränk ich mich auf das Zuschauen, weil das Fotografieren mit der Handykamera nur ganz undeutliche und unscharfe Fotos von etwas, das vielleicht ein Puffin sein könnte, bringt. Immerhin täuscht die Dämmerung; für die Kameras ist es dunkler, als es uns vorkommt.

Nach einiger Zeit wacht der Zwerg auf, und wir beschließen, uns zu trennen. Alex bleibt oben und fotografiert noch ein bisschen, und ich schnall mir den kleinen Mann wieder um und wandere zurück zum Camper.

Eine dreiviertel Stunde nach uns ist auch Alex wieder „zuhause“, noch immer ganz aufgeregt, weil sie noch Unmengen an tollen Aufnahmen von den Puffins ergattert hat.

Samstag, 7. Juni: Ålesund

Auf der Fahrt nach Runde sind wir bereits knapp an Ålesund vorbeigekommen, heute soll die Hafenstadt unser Tagesziel sein.

Noch einmal geht es über die Albtraumbrücken, ans Festland. Die Etappe ist nicht sehr lang, also sind wir schon am Nachmittag in der Stadt, und suchen den Camper-Stellplatz. Ähnlich wie in Bergen gibt es keinen richtigen Campingplatz, sondern nur einen größeren Parkplatz, direkt am Meer, hier allerdings mit Sanitäranlagen. Also doch irgendwie ein Campingplatz.

Das Besondere an Ålesund sind die vielen Jugendstil-Gebäude, die vor dem Ersten Weltkrieg nach einem Brand errichtet wurden. Leider besteht dieses Ensemble aus gerademal einer fotogenen Häuserzeile. Bewegt man sich ein paar Hundert Meter davon weg, stößt man auf verwahrloste Häuser und Plätze, auf vergessene Baustellen überall, und – für uns besonders bitter – auf Speiselokal-lose Viertel. Mit der berühmten skandinavischen Kinderfreundlichkeit (oder generell mit der Barrierefreiheit) ist’s in Bezug auf Architektur hier auch nicht weit her; den Kinderwagen muss man praktisch durch die Stadt tragen, weil es keine Abschrägungen an den Gehsteigkanten gibt, und sogar im McDonalds muss man zwischen Eingang und Schalter über Stiegen rauf. Ist aber dort auch egal, weil’s in dem Lokal nicht wirklich appetitlich aussieht (und damit meine ich nicht das Speisenrepertoir an sich).

Witzig allerdings ist, dass einzelne Bars offenbar hauptsächlich als WiFi-Hotspot genutzt werden. Obwohl im Lokal kaum Betrieb herrscht, versammeln sich auf dem Gehweg davor dutzende Menschen, die alle auf ihren Tablets und Smartphones tippen. Dann sieht man den Grund: ein Schild „Free WiFi“ 🙂

Außer den Jugendstil-Fassaden besuchen wir noch einen Aussichtspunkt auf einem Hügel; auf den Hausberg der Stadt verzichten wir, der der stilgerecht über 418 Stufen bezwungen werden will, und wir mit dem Kinderwagerl unterwegs sind.
Dank des Lokalmangels gibt’s für uns ein Abendessen in Jausenform im Auto.

Sonntag, 8. Juni: Richtung Atlantikstraße

Wir stehen ungewöhnlich früh, um acht, auf, um den Leuchtturm in Alnes zu besuchen. Der steht auf der Insel Godøy vor Ålesund, die mit der Stadt durch eine Straße verbunden ist. Zu meinem Glück besteht nur eine dieser Verbindungen aus einer Brücke, obwohl sich die Straße über mehrere Inseln wutzelt. Der Rest sind Unterwassertunnels.

Die Norweger haben, wie schon vor ein paar Tagen an den Tunnels mit Kreisverkehr erkennbar, ein ziemlich entspanntes Verhältnis zu unterirdischer Verkehrsführung. Neu für uns sind allerdings die Tunnels zwischen den Inseln.

Schon in Hamburg sind wir unter der Elbe durchgefahren, allerdings geht’s dort um einen Fluss, der nicht sehr tief ist.

Zwischen zwei Inseln kann das Meer aber recht tief sein. In unseren Fällen so tief, dass der Tunnel auf 150m unter die Wasseroberfläche führt. Das beginnt bereits in der Stadt, einige hundert Meter vom Meer entfernt (in diesem Teil des Tunnels gibt es übrigens Abzweigungen, inzwischen für uns Pipifax. Sowas gibt’s ja sogar in Wien…). Dann geht der Tunnel kerzengerade mit 10% Gefälle nach unten. Nach einem kurzen Stück geradeaus geht’s wieder genauso steil nach oben. Und weil das noch zu einfach ist, dreht der Tunnel, bevor er auf der Nachbarinsel wieder ans Tageslicht kommt, noch schnell eine 270°-Kurve. Sehr spannend, das.

Alnes ist ein verschlafenes Fischerdörfchen. In den Hügeln zwischen Dorf und Landzunge seht der hölzerne Leuchtturm (innen hat er allerdings ein Stahlgerüst). Wir klettern auf die Galerie, die um den Schweinwerfer herum um den Turm führt, und bewundern die Aussicht. Obwohl es in der Früh noch bedeckt war und nach Regen ausgesehen hat, hat hier die Sonne fast alle Wolken geschluckt, nur noch ein paar Schwaden ziehen über die Insel.

Die Atlantikstraße ist unser nächstes Ziel, dafür müssen wir allerdings erst an ihren Startpunkt, der kleinen Ortschaft Bud, kommen. Also fahren wir ein schönes Stück der Strecke, die wir zwei Tage zuvor von Trollstigen gekommen sind, zurück, um zur Fähre nach Molde zu gelangen. Von dort aus geht es ein Stück nach Norden, einer malerischen Küste entlang.

Kurz vor Bud gibt es zwei Campingplätze. Wir sehen uns beide an, bevor wir uns in die Stadt auf Nahrungssuche machen. Dabei stellt sich einmal mehr unser Ungeschick bei dieser Aufgabe heraus. In Norwegen scheint die Lokaldichte relativ gering zu sein, aber wir haben gottseidank einen Reiseführer, der uns zwei Möglichkeiten nahelegt. Davon ist eine, obwohl auch im Navi vorhanden, in der Realität verschwunden, die andere eine unsympatische Touristenausspeisung (ja, wir sind eh auch Touristen…). Und so wird am Campingplatz unser 15€-Klappgriller vom Lidl ausgepackt, und gegrillt.

Montag, 9. Juni: Atlantikstraße, und Geburtstagsparty

Nachdem der Zwerg heute ein Jahr alt wird, gibt es zum Frühstück eine Geburtstagstorte. Den Umständen entsprechend sieht diese Torte auch aus: sie besteht in der Mitte aus einer Tomate, umgeben von einem Ring aus Brot-, Käse- und Paprikastückchen, verziehrt mit einer Kerze in „1“-Form. Der Zwerg besieht sich die Sache, und erkennt darin all seine Lieblings-Frühstückszutaten. Allein das brennende Ding in der Mitte, beziehungsweise dessen Sinn, erschließt sich ihm nicht so recht. Aber die Fütterer haben ihre Freude daran, und am Ende wird reingeblasen, wie bei den schönen Löwenzahnblumen. Die dann aber nicht stinken, sondern viele kleine Schwebedinger fliegen lassen…

Nach der rauschenden Party (es gibt als Geschenk einen kleinen, grünen, leuchtenden Traktor) geht es los zur Atlanterhavsveien, der Atlantikstraße.

Ihr kennt das bestimmt: man sieht sich die Vorschau eines Films an und will dann unbedingt ins Kino. Dann stellt sich heraus, dass der restliche Film nichts besonderes ist, abgesehen von den zwei, drei Ausschnitten aus der Vorschau.

Ein bisschen so geht es uns bei der Atlantikstraße. Diese Strecke, die bewusst „schön“ angelegt ist, hüpft sozusagen von einem kleinen Inselchen zum nächsten, mit spektakulären Brücken dazwischen. Sie ist mehrfach als „allerschönste Straße von überhaupt“ ausgezeichnet, und zählt zu den fotogensten Strecken Skandinaviens.

Jetzt mal nicht falsch verstehen: die Gegend ist wirklich wunderschön, und das Asphaltband windet sich tatsächlich über die Inseln, hin und her. Die spektakulären Brücken sind tatsächlich genau *eine* Brücke, die aus genau einem Blickwinkel speziell aussieht – wie eine umgedrehte Steilkurve nämlich.

Jedenfalls bringt uns die Straße nach Kristiansund, einer auf mehreren Inseln gebauten Stadt. Wir parken das Mobil in der Nähe des Zentrums, und begeben uns auf einen Spaziergang. Der führt uns zuerst ans Meer, von wo aus auf einer der gegenüber liegenden Inseln der Stadt ein riesiger „Kristiansund“-Schriftzug auf einem Hügel auffällt, im Stil des „Hollywood“-Schriftzuges in Los Angeles. Wir wollen, um in die anderen Stadtteile zu kommen, ein Wassertaxi nehmen, dass allerdings zur angegebenen Uhrzeit nicht an der Haltestelle auftaucht. Inzwischen beginnen unsere Mägen zu knurren, und wir machen uns auf die Suche nach einem Lokal. Der erste Kandidat, den wir gleich nach dem Einparken entdeckt haben, hat geschlossen. Der zweite, namens „Sima“, hat offen und wir bekommen auch einen netten Platz in einem uralten Gebäude. Wir essen Fischsuppe, Jakobsmuscheln in Speck, Fischknödel mit Wurst und Bacalao – eine Spezialität aus Klippfisch (auf den Klippen getrockneter Fisch). Sehr gut, alles zusammen. Wir nehmen des Zwergens Geburtstag zum Anlass, um die Rechnung zu rechtfertigen 😮

Beim Rückweg zum Auto wird uns dann klar, warum so viele Lokale geschlossen, und das taxiboot nicht fährt: Pfingstmontag. Wir können inzwischen schon froh sein, wenn wir überhaupt wissen, ob’s grad ein Werktag ist…

Weil der Tag noch jung ist, und der Campingplatz in Kristiansund nicht gerade verlockend aussieht (zumindest von aussen), fahren wir weiter Richtung Norden, entlang der inoffiziellen Verlängerung der Atlantikstraße, der Nummer 680. Die führt uns über bewaldete (Halb-)Inseln nach Vinsternes, einen Ort – besser gesagt eine Stelle – von der früher eine Fähre zur Nachbarinsel ging. Eine neue Brücke hat dafür gesorgt, dass die Fähre nun eingestellt ist. Umso besser für den kleinen, unscheinbaren Campingplatz, der ausser uns praktisch nur Fischer anzieht.

Dienstag, 10. Juni: Nixtun

Heute wollen wir…

…einfach nichts tun. Nach dem Frühstück spazieren wir ein bisschen durch die Gegend und sehen uns die aufgelassene Fährstation hinter dem Campingplatz an, und kommen dabei in keinem Fall weiter als 150m vom Camper weg. Den Rest des Tages blödeln wir mit dem Zwerg auf der Wiese im Sonnenschein, oder lesen.

Sehr angenehm.

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