Ab in den Süden

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von Philipp (2014)

Dieser Artikel ist Teil der Geschichte Reise zum Nordkap.

Donnerstag, 26. Juni: Hallo Finnland

Karasjok ist die inoffizielle Hauptstadt der Sámi, dem Volk, dass früher abwertend als Lappen bezeichnet wurde, als „Sumpfleute“ (die Gegend selbst heißt allerdings nach wie vor Lappland). Hier gibt es ein modernes Versammlungszentrum, ein Art Parlament, kulturelle Einrichtungen und eine samische Hochschule. Wir besuchen ein Freilichtmuseum, und lernen dort, neben den Bauten, Jurten und diversem Hausrat, das Joiken kennen, ein Singsang, der ein bisschen an’s alpenländische Jodeln erinnert, aber gleichzeitig meditativer klingt, vielleicht wie tibetischer Gesang. Jede Person hat ihre eigene Melodie, die von den Eltern übernommen und abgewandelt wird. Bis in die Mitte das 20. Jahrhunderts war das Joiken generell verboten, und erst nach den olympischen Winterspielen in Lillehammer durfte in der Öffentlichkeit gejoikt werden.

Wir lernen auch einiges über die Religion der Samen: alles stammt von einem weißen Rentier ab. Aus seinem Fell sind die Bäume entstanden, aus dem Geweih die Flüsse. Aus den Augen wurden die Sterne, und sein Herz wurde tief in der Erde vergraben, und ist verbunden mit allem Leben, allen Herzen. Dieses Prinzip der Verbundenheit von Natur und Mensch ist zumindest mir sehr viel sympathischer als zum Beispiel „Ich bin der Eine und Allmächtige“.

Es zieht uns weiter nach Südosten, in Richtung der finnischen Grenze. Auch wenn Norwegen kein EU-Mitglied ist, so ist es doch Mitglied im Schengen-Abkommen, und so gibt es keine Grenzkontrollen zwischen Norwegen und Finnland (wie auch zu Schweden und Dänemark). Das war übrigens auch vor Schengen so, als noch kein skandinavisches Land in der EU war.

Mit der Grenze ändert sich auch die Landschaft. In Norwegen waren Flüsse noch fast allgegenwärtig, hier fahren wir durch eine endlose Ebene auf kilometerlang kerzengeraden Straßen. Links und rechts vom Asphalt wachsen niedrige Birkenwälder, soweit das Auge reicht. Leicht auf und ab geht es immer. Wenn wir dann in eine Ortschaft kommen, ist das dann immer gleich richtige, moderne Zivilisation. Im Gegensatz zu Norwegen, wo viele kleine Ortschaften aus zusammengeworfenen Häuschen bestehen, wirken finnische Dörfer wie angelegt. Es gibt breite Kreuzungen mit Verkehrsinseln, und viele Wegweiser. Die Häuser selbst, und vor allem die Firmengebäude, verstecken sich dafür gern im Wald.

Der erste größere Ort, in den wir kommen, ist Inari am gleichnamigen See. Hier hat uns Walter ein Lokal empfohlen, in dem man zu moderaten Preisen fein Essen kann. Wir ignorieren allerdings die Pizza-Seite auf der Speisekarte, und wollen nach den Unmengen Nudeln der letzten Wochen endlich einmal richtig nobel essen: es gibt Rentierschinken und Fisch, und Meeresfrüchtesalat und Rentiersteak (sowas sollte es wirklich auch im „El Goucho“ geben, das schlägt alles!). Das alles, ohne gleich den Zwerg in Zahlung zu geben. Ausserdem wird in Euro gezahlt.

Für die Nacht sind wir noch unschlüssig, welchen Campingplatz wir nehmen sollen, als wir an einem Parkplatz, etwas abseits von der Hauptstraße vorbeifahren, direkt am See. Und so kommen wir zu einer weiteren Gratis-Übernachtung.

Des Nachts steigt der Puls kurz an, als ein zweites Wohnmobil in den Parkplatz einbiegt, ganz langsam an uns vorbeifährt, und vor uns einparkt. Lauter junge Leute! Dann tönt für kurze Zeit laute Musik aus dem Nachbarauto, und dann ist’s ruhig. Räuber? Aber alles beibt gut, auch die beiden Strickmützen-Mädchen, die per Fahrrad ankommen, und am Wasser ihr Zelt aufbauen, wollen weder an unser Geld noch an unser Kind.

Freitag, 27. Juni: Bärenhöhle

Wir beschliessen, an jedem weitern Tag irgend etwas unterwegs anzuschauen, damit die Heimfahrt nicht ausschliesslich aus Fahren besteht. Trotzdem sollen hauptsächlich Kilometer gemacht werden, jeden Tag zwischen 250 und 300. Das klingt nach nicht viel, mit dem zur Verfügung stehenden Leistungsgewicht ist das auf Landstraßen auf Dauer auch zehrend. Und der Zwerg ist auch nicht unbegrenzt im Kindersitz festhaltbar, ohne dass es Tränen und Gezeter gibt.

Das heutige „Highlight“ ist eine Bärenhöhle. Über Holztreppen erklimmt man einen Hügel, durchschlieft eine kurze, natürliche Höhle, und gelangt danach zu einem Aussichtspunkt. Am Fuss des Berges steht ein Souvenirshop, der auch Kaffee ausschenkt, und vor dem ein elektrisch bewegter, über-mannshoher Bär steht. Ein im Hintergrund versteckter Student verleiht dem Bären via Mikro seine Stimme. Er hat einige Sprachen im Repertoir, und versucht die Besucher anhand ihrer Autokennzeichen richtig zu begrüßen. Nicht jeder Besucher erkennt den Trick sofort, was den Beobachter freut. Der Zwerg hat aber große Angst vor dem schiachen Viech, auch wenn es ganz freundlich mit ihm spricht. Ein blutverschmiertes, zähnebesetztes Maul, und riesige Krallen sind halt nicht jedermanns Sache.

Die Strecke des Tages führt uns von unserem Parkplatz südlich von Inari über Tankavaara (wo wir im Goldmuseum zumittag essen) nach Sodankylä. Hier kann Alex endlich in der Nacht die Sonne sehen (wenn es auch um 22h ist), kurz bevor wir wieder über den Polarkreis kommen.

Samstag, 28. Juni: Beim Weihnachtsmann

Rovaniemi, das wir am frühen Nachmittag erreichen, liegt fast genau am Polarkreis, und ist nach übereinstimmender Meinung der gesamten Ortschaft zweifellos Wohnsitz des Weihnachtsmannes. Es gibt kaum ein Unternehmen, und sicher nichts touristisches, das nicht irgendetwas mit Weihnachten zu tun hat. Und wenn es nur ein „Santa“ im Namen ist…

Vor zwanzig Jahren (obwohl der kalte Krieg eigentlich schon vorbei war, aber man kann ja nie wissen) wurde in Rovaniemi ein mehrere tausend Menschen fassender Schutzbunker in den Fels gesprengt. Da es weiter keinen Hinweis auf eine unmittelbar bevorstehende russische Invasion gab, verpachtete man den Bunker kurzerhand an – na? – den Weihnachtsmann, der sich dort unten ein disney-ähnliches Kitschland errichtete. Hier kann man lernen, was Elfen zu tun haben, Weihnachtsschmuck kaufen, Elfen basteln, sich mit dem Weihnachtsmann fotografieren lassen, Elfenbahn fahren, Süssigkeiten essen, Geraffel kaufen, und sich mit sämtlichen bekannten Weihnachtsliedern zudröhnen lassen. Trotzdem waren wir dort.

Das Ende der heutigen Etappe leigt in Tornio, an der schwedischen Grenze.

Sonntag, 29. Juni: Zeitschock

Wir wollen heute ein Fjällräven-Outlet auf der schwedischen Seite besuchen. Ich mag deren Sachen, trotz des oft sehr jagdlichen Einschlags, vor allem weil’s dort Outdoor-Hosen mit Überlänge zum Selberkürzen gibt.

Das Geschäft sollte um 11h (auch am Sonntag) aufsperren, unser Munterwerden dauert aber etwas länger, und so sind wir erst fünf vor zwölf dort. Und stehen vor heruntergelassenen Rolläden. Wir sehen nach, ob heute vielleicht ein besonderer Feiertag sein könnte, finden aber keine Erklärung. Als wir schon starten wollen, fährt plötzlich der Rolladen hoch, und gleichzeitig fällt’s uns ein: Finnland hat eine andere Zeitzone…

Leider hat der Shop nur wenig in passenden Größen (sondern haupsächlich S und XXL…), und viele Sachen sind nicht wesentlich billiger als bei uns, deswegen bummeln wir ein bisschen herum, und fahren dann weiter.

Unterwegs machen wir Halt in Gammelstad. Weil die dortige Pfarre eine so riesige Fläche zu betreuen hatte, und die Gläubigen regelmässig zum Gottesdienst erscheinen mussten, bürgerte es sich ein, dass sich die weit entfernt lebenden Kirchgänger kleine Hütten unmittelbar neben der Kirche bauten. So entstanden über 400 winzige, aneinander gereite Häuschen. In vielen Orten wurden diese Siedlungen inzwischen geschleift, aber in Gamlestad werden sie erhalten und sind zu Weltkulturerbe erklärt worden.

Streckentechnisch schaffen wir es heute bis Skellefteå, auf den kleinen, abseits gelegenen Campingplatz Boviken.

Montag, 30. Juni: Umeå

Heute machen wir einen Spaziergang in einem Wandergebiet nahe Umeå. Es gibt hier mehrere kleine Hütten und Unterstände, vor denen gegrillt werden kann. Das ganz ist, obwohl im Bergland gelegen, behindertengerecht angelegt.

Das heutige Ziel ist der Campingplatz in Gullvik, auf einer Halbinsel vor Örnsköldsvik, mit schönem Sandstrand

Dienstag, 1. Juli: Höga Kusten

Wieder Kilometer um Kilometer nach Süden… Die Landschaft, vor allem in der Nähe des Meeres oder an Seen, ist zwar fantastisch, aber leider geht uns ein bisschen die Zeit aus. So viel kleine Inseln und Buchten, so viele Wandergebiete…

Am Vormittag fahren wir durch das Gebiet der „Höga Kusten“, der „Hohen Küste“, einem Weltkulturerbe. Wir haben eine Wanderung auf den Berg Skuleberget bewandern, aber kurz davor beginnt es wie aus Kübeln zu schütten. Auf irgend einer Karte ist aber ein Abstecher von der E4 weg auf eine Halbinsel eingetragen, die schöne Ausblicke auf das Meer bieten soll. Inzwischen hat es auch aufgehört zu regnen, was einerseits egal ist, weil man von der besagten Straße genau Null Aussicht hat, und andererseits gut ist, da die Straße auf 14km Strecke eine Baustelle ist. Interessante Streckenführung zwar für Enduristen, mit dem 80PS-Dreitonner voll Geschirr und Kinderspielzeug aber ein eher fragwürdiges Vergnügen.

Gegen Abend beziehen wir den Campingplatz bei Malnbadnes bei Hudiksvall, der zwar groß und gut belegt ist, aber einen sehr schönen Strand hat, an dem der Zwerg seine erste väterliche Sandburg zerstört und dabei sein erstes Maulvoll Sand schluckt. Hier darf er auch zum ersten Mal seine Füße ins kalte Meerwasser tauchen. Zuerst macht ehr mit den Zehen kleine Fäuste und meint leise „Uuuuuhhhuuu“, aber bald patscht er mit den Füßen begeistert ins Wasser. Wenn der sich nur mal entscheiden könnte, ob er Wasser mag oder nicht…

Mittwoch, 2. Juli: Stockholm

Wir fahren weiter auf der E4 nach Süden. Diese Halb-Autobahn verläuft zwar nicht weit vom Meer entfernt, sehen kann man es allerdings nur selten.

Die Strecke ist in Summe dreispurig. Für ein, zwei Kilometer ist die Südrichtung zweispurig, während die Nordrichtung nur eine Spur hat. Dann wechselt das. Speziell bei Anschlussstellen ist das nicht unpraktisch; man kommt einspurig zur Ausfahrt, so dass niemand unvorhersehbar plötzlich von der Überholspur in die Ausfahrt schneidet, und dann wird die Auffahrtsrampe zur zusätzlichen Fahrspur, so dass die langsameren Neuzugänge keinen Einordnungsstress haben müssen.

Am Nachmittag besuchen wir „Gamle Uppsala“, ein paar Kilometer ausserhalb von Uppsala. Aus irgend einem Grund wollte der damalige Bischof seinen Sitz aus Uppsala verlegen (irgendwas mit dem Zugang zum Meer…), und der Papst hat dieses Vorhaben unter der Voraussetzung genehmigt, dass die neue Stadt auch den Namen Uppsala bekommen sollte. So wurde aus dem ersten Uppsala das „Alte Uppsala“ (Gamle).

Neben der Kirche liegen mehrere Hügelgräber aus dem ersten Jahrtausend, in denen vermutlich Wikingerfürsten oder -fürstinnen begraben liegen (nur zwei davon wurden geöffnet und untersucht).

Ein paar Kilometer vor Stockholm beginnt der hektische Stadtautobahnverkehr. Wir tangieren die Stadt aber nur, so dass wir schnell an der anderen Westseite der Stadt ankommen.

Der Campingplatz bezeichnet sich als „Familienplatz“, ein Attribut, das schwer nachvollziehbar ist. „Shoppingcity-Parkplatz“ triftt’s eher, dicht an dicht stehen hier die Wohnmobile und -anhänger.

Donnerstag, 3. Juli: Schwedisches Inland

Wir besuchen das Schloss Drottningsholm, das nur ein paar Minuten von unserem Campingplatz entfernt ist. Hier wohnt dir schwedische Königsfamilie, von der allerdings nichts zu sehen ist. Nur ein Wachsoldat und eine Wachsoldatin stehen vor dem Palast; im Gegensatz zu ihren britischen Kollegen dürfen die auch lächeln (zumindest tun sie das). Bevor wir wieder auf die Autobahn fahren, trinken wir noch ein Käffchen im Kaffeehaus neben dem Schloss (auch hier: keine Prinzessinen).

Die Fahrt ist, wie fast zu erwarten, langweilig. Die Autobahn ist fast überall zweispurig, nur einmal kommen wir in einen längeren Stau. Und der Wind kommt immer, wirklich auch nach Kurven, vollgas von vorne! Nur wenn’s steil bergab geht (so steil, wie’s auf einer Autobahn halt bergab geht) kommen wir auf über 80km/h. Gottseidank wirkt der Wind auch auf die LKWs, so dass wir doch auch das eine oder andere Duell für uns entscheiden können. Die Skandinavier fahren aber sowieso immer 20km/h unter dem Limit, also 90.

Am Abend verlassen wir die Autobahn, die hier hundert Meter oberhalb des Vätternsees verläuft, und fahren hinunter ans Ufer, wo wir in der Nähe von Gränna einen einfachen, ruhigen Campingplatz finden.

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